tres camenzind, fotograf

DIEDOSTSCHWEIZ, 5. August 2013

Wie weit ist Heimgeborenland noch Heimgeborgenland?

Der Zürcher Fotograf Tres Camenzind stellt in Braunwald Bilder aus dem Urserental aus. Eine Spurensuche in seinem «Heimgeborenland» und eine Auseinandersetzung mit dem Bauen in den Alpen.

Von Fridolin Rast

Braunwald. – Tres Camenzind ist im Thurgau aufgewachsen und arbeitet in Zürich als Fotograf. Aus über 1000, in sieben Jahren entstandenen Bildern hat er seine Ausstellung «Heimgeborenland» speziell für den Raum in Braunwald komponiert. Mit ihr dokumentiert er Spuren seiner Kindheit, die 1963 in Realp anfing. Und mit der Vernissage hat das «Bsinti» seine Sommersaison begonnen. 

Veränderungen zu Bildern machen 
Die Blüte des Transitverkehrs vorbei, die Armee aus dem Tal mehr oder weniger verschwunden, der Tourismus darbend: Vor diesem Hintergrund seien die Camenzinds weggezogen, erklärt der Glarner Fotograf Fridolin Walcher, der die Ausstellung kuratiert hat. Und Tres Camenzinds Langzeitarbeit sei gewissermassen mit ägyptischer Hilfe entstanden: «Camenzind macht Veränderungen im Tal zu Bildern.» Mit dem Bauch als Geigerzähler, so das Bild von Walcher: «Wenn der ausschlägt, fotografierts. Nicht wertend, nur hinweisend.» 
So zeigt Camenzind Zeichen der heutigen Zeit «mit dem liebevoll aufgeladenen Blick des kleinen Tresli». Unspektakulär bei der alten Sprungschanze, gegensätzlich beim Wohnblock neben dem Kirchlein und dem Friedhof, auf dem die früheren Urschner ihre ewige Ruhe fanden. 
Ihm gehe es auch um die Menschen, die heute im Urserental leben, betont Camenzind. Auch wenn sie auf den Bildern selten direkt erscheinen, sondern nur – etwa mit der brasilianischen Flagge – durch ihre Spuren präsent sind. «In den sieben Jahren hat sich eine ganz andere Beziehung zu ihnen und eine gewisse Ruhe ergeben», sagt er. «Ich sehe, was im Tal passiert, und mir geht das Herz auf.» 

Fragen auch für Braunwald 
«Wo ist unser Heimgeborenland?», fragt Walcher in die Runde: «Oder unser Heimgeborgenland? Haben wir mehrere davon, und wie gehen wir mit ihnen um?»
«Wieviel Nostalgie wollen wir, wie viel ertragen wir? Wieviel Veränderung? Welche Siedlungs- und Entwicklungspolitik streben wir an, was sind wir beizutragen bereit?» Und weiter: «Was löst das Verschwinden eines Ladens aus und das Entstehen des ‘Bsinti’, das seinen Platz einnimmt? Wie steht man den Dieselfahrzeugen gegenüber, sei es auf den Dorfstrassen oder beim Bahnhof unten, wenn man sie selber für schweres Gepäck nutzen möchte?»
Mit «Heimgeborenland» fordert Tres Camenzind – «poetisch, träumerisch, zart verpackt» – dazu auf, die eigenen Länder zu betreten, eine Meinung zum Heute zu bilden und eine Stimme dazu zu finden, wie Walcher sagt. Verbunden mit dem Aufruf, sich auch dort der Entwicklung empathisch und verantwortungsvoll zuzuwenden, wo weder Heimgeborennoch Heimgeborgenland ist. Einem Aufruf, den er nicht nur an «von nostalgischen Emotionen» unbelastete Grossinvestoren richtet, sondern auch an die Einheimischen. 

Diskussionsort der alpinen Fotografie 
Tres Camenzinds Ausstellung sei ein wichtiger Eckpunkt, um das «Bsinti» als Diskussionsort der alpinen Fotografie zu etablieren, erklärt Walcher: «Und sie ist ein wunderbares Geschenk zum Feiertag der Schweiz.» Und er ruft dazu auf, das Heimgeborenland und Heimgeborgenland Braunwald miteinander zu gestalten. Das nötige Bewusstsein, «Bsinti» eben, zu entwickeln.

erschienen in DIEDOSTSCHWEIZ, 5. August 2013

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