transition - Pressetext
March 1, 2020«transition» (Pressetext)
Galerie Wenger, Zürich - 19. März bis 25. April 2020
kuratiert von Reto Kaufmann
Tres Camenzinds Fotografien werden mit dem Altern eines guten Barolo verglichen, je länger dieser lagert, desto tiefer und voller wird sein Volumen.
Camenzinds Arbeiten besitzen ebendiesen Reifeprozess. Seine Serien bauen aufeinander auf, vertiefen sich mit der Zeit, und der Tonus wächst zu einem immer grösseren Volumen heran. Seine Fotografien erreichen eine steigende Unmittelbarkeit, eine Unfassbarkeit, aber auch Flüchtigkeit. Sei es bei Themen um den Menschen an sich, in der Stadt, oder bei Themen der Natur, der Landschaft oder Wälder. Tres Camenzind dringt mit seiner Kamera auf analogem Wege in diese Themen ein und reizt eine Zufälligkeit des Moments heraus, auf die es ihm ankommt. Durch die Technik der Mehrfachbelichtung, also Überlagerungen verleibt er seinen Werken eine künstlerische Konstruktion ein; er nennt es „konstruierte Zufälle“.
Der Titel der Ausstellung TRANSITION steht für den Wandel und eine Entwicklung innerhalb der ausgestellten Serien; für den Weg, den seine Ensembles gehen; vom analog geschichteten Original der frühen Serien bis zur aktuellen dreidimensionalen, mehrschichtigen Installation im Raum.
Die Galerie Wenger freut sich sehr, mit dem Fotografen Tres Camenzind einen neuen Projektkünstler in der Reihe plus+ zu präsentieren. In dieser Reihe gibt die Galerie noch weniger etablierten Künstlern eine Plattform. Für Tres Camenzinds ist es seine erste Soloshow in einer Kunstgalerie.
1963 in Realp, Uri geboren, studierte er zunächst für kurze Zeit Soziologie und etablierte sich dann ab 1991 als selbständiger Fotograf. Neben Projekten als Auftragsfotograf, arbeitet Camenzind vor allem auch als Künstler und folgt hier seiner Intuition und der unbewussten Reflexion des eigenen Ichs. Er arbeitet ausschliesslich in Serien.
In der Ausstellung werden Arbeiten aus drei Serien gezeigt, die sich als ‘tryptichonales Ensemble’ verstehen lassen, so der Künstler.
melting cuts (2003-10) zeigt städtische Szenen von Menschen überfüllter Plätzen. Städte wie New York City, San Francisco, Istanbul oder auch Chennai in Indien. Man spürt Hektik und Chaos heraus, verstärkt durch die Überlagerungstechnik der Mehrfachbelichtung. Aber man sieht auch ein kunterbuntes, lebhaftes, lebendiges Wimmelbild, in dem gesucht und gefunden werden kann, Flüchtiges vergeht, der Moment zählt. Je nach persönlicher Betrachtung und Perspektive bleibt das haften, was man sehen will. Keine zehn Fotos überlagern sich, und doch verlieren sich die Schichten, das Greifbare ins fast Spurenlose.
Die Arbeiten der Serie und grün wie der Himmel (2012-15) bestechen durch sehr viel mehr Ruhe trotz der kaleidoskopischen Fülle des Waldes, des Flimmerns des Lichts zwischen dem Grün, des Ineinandergreifens der Bäume, Äste und Blätter. Es werden hier bis zu 60/70 Schichten überlagert. Eine Fülle an bewusst unbewussten Gefühlen werden assoziiert. Oder wie es sein treuer Freund und Weggefährte in der Fotografie, Giorgio von Arb ausdrückt: “Die Fotografien von Tres Camenzind lösen an der Grenze zwischen meinem Bewusstsein und Unterbewusstsein eine abenteuerliche Reise aus, ein steter Spagat verbindet diese zwei Seiten des Menschseins, berührt auch unausweichlich Räume unserer Kindheit. (…) im Wald sind wir das, was wir immer schon waren! Diesen Wäldern hat Tres Camenzind ein Gesicht gegeben”.
Mit der neusten Serie mutmasslich flüchtig (seit 2015) stellt uns der Fotograf vor Menschenbilder, gedruckt auf Polyesterfolien, hintereinander gehängt in Stahlrohrrahmen. Nicht wen man sieht ist dem Künstler wichtig darzustellen, sondern was man sieht. Wichtig ist ihm auch dabei eine gewisse Transparenz zu bewahren. So lässt er jede Folie sehr licht, um in der Tiefe aller Folien die gewünschte Transparenz zeigen zu können. Auch hier geht es Camenzind wieder um die Flüchtigkeit des Blickes und des Augenblicks, auch um die Vergänglichkeit des Greifbaren, sowohl inhaltlich als auch formal. Diese Arbeiten sind alles Unikate.
Tres Camenzinds Fotografien muss man nicht nur live gesehen, sondern auch erlebt haben. Man sollte sich vor die mehrschichtigen Kompositionen auf Leinwand oder Polyesterfolien stellen und langsam hin und her bewegen. So vertieft sich das Bild, die eigene Perspektive immer mehr, es wird immer komplexer, verunsichert in der optischen Wahrnehmung, verwirrt sogar oder macht schwindlig. Camenzinds Arbeiten leben aus der Tiefe heraus, bringen das Innere zum Vorschein – nicht umgekehrt.
Beifügend zu diesen Arbeiten zeigt die Galerie in der Vitrine noch kleinere Arbeiten Camenzinds aus der Serie Ebenbilder (seit 2017). Modelleisenbahnfiguren en miniature, winzig kleine Lebewesen werden durch Makrofotografie und bestimmte Lichteffekte ins Leben gerufen, in die Grösse gehoben. Kleine Figuren wie Du und ich, ganz gross.
Galerie Wenger, März 2020
Episode XVIII, 2019 aus “mutmasslich flüchtig”